In Spanien leben 7 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Spanien ist kinderfreundlich, in allen Lebensbereichen. Doch dann kam dieser Virus, der die ganze Welt auf den Kopf stellt und plötzlich über Nacht verschwanden alle Kinder aus der Öffentlichkeit. Seit 15. März sitzen sie aufgrund der allgemeinen Ausgangssperre auf Mallorca und im gesamten Land unter Hausarrest, gestraft mit Bergen von Hausaufgaben. Noch schlimmer ist es wahrscheinlich nur im Gefängnis. Ein Kommentar.
Hausunterricht
Neben dem Beitrag zum Coronavirus ist der zum Bildungssystem auf Mallorca zur Zeit der meistgelesenen auf dem Blog. Weshalb ich annehme, dass es viele von euch interessiert, wie die Situation aussieht. Die kurze Antwort: Wahrscheinlich ähnlich wie in Deutschland. Alle machen irgendwie weiter, wursteln sich durch, aber nichts ist wie vorher.
Sind die Schulen vorbereitet?
Das Konzept Fernschule hat sowohl Lehrer als auch die Schulen auf Mallorca (und ich denke ganz Spaniens) kalt erwischt. Sie sind weder vorbereitet noch ausgestattet. Denn neben dem Gesundheitssystem ist auch in der Bildung immer wieder gespart worden. Mein ältester Sohn wird bereits im zweiten Jahr in einem Baucontainer unterrichtet. Der ist klimatisiert, dekoriert, kindgerecht und spannend, zeigt aber darüber hinaus vor allem, dass es kein Geld für bauliche Erweiterungen gibt. Geschweige denn um die Schule ordentlich zu vernetzten. Die Lehrer geben sich wirklich sehr große Mühe das Beste aus der Situation zu machen. Aber mit Schule und Lernen hat das, was wir zurzeit erleben, wenig zu tun.
Und das ist ärgerlich. Denn es gibt so viele gute Möglichkeiten zum digitalen Lernen. Doch das Dilemma fängt oft schon an, wenn es darum geht einen Link zu folgen, der eine interaktive Möglichkeit zum Lernen geben soll. Oft funktioniert er nicht. Andererseits gibt es auch Lehrer, die über Nacht ein virtuelles Klassenzimmer einrichten und dort ihre Schüler treffen. Auch da funktioniert nicht immer alles wie es soll. Aber der Wille zählt.
In jedem Fall fällt die Aufgabe des Lehrers zumindest in unserem Haushalt mit zwei Grundschülern, 1. und 3. Klasse, auf uns Eltern. Das ist für mich doppelt schwierig, denn ich habe nie einen Sprachkurs für Katalan besucht.
Ab in die Ferien?
Es gibt Gerüchte, dass das Schuljahr eventuell vorzeitig beendet werden soll. Eine Katastrophe! Nein, meine Kinder brauchen keine Aufbewahrungsanstalt, wie manchmal geschrieben wird. Aber sie brauchen soziale Kontakte.
Die Sommerferien beginnen normalerweise Mitte Juni und dauern 12 Wochen. Was für sich selbst schon ein Unding ist. Doch jetzt sprechen wir plötzlich von einem halben Jahr ohne Schule. Das ist Irre! Das Nachsehen werden vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Milieus haben. Ohnehin herrschende Ungleichheiten werden noch größer.
Hausarrest für alle
Zunächst für zwei Wochen ab 15. März 2020, mittlerweile für vier, dürfen die Kinder nicht mehr außer Haus. Erwachsene zwar auch nicht, aber die trifft es in den meisten Fällen weniger hart. Sie dürfen zur Arbeit, zum Einkaufen und sogar mit dem Hund auf die Straße.
Die Kinder nicht. Ihre Bewegungsfreiheit wurde drastisch eingeschränkt. Nur Bewohner von Gefängnissen dürften noch weniger Auslauf haben. Obwohl: Bei denen gibt es Freigang und wohl eher keine Berge von Hausaufgaben.
„Mamá vente a la terraza a volar la cometa que vamos a alegrar a la gente“ L.M.M., 3 años #CoronaInfancias pic.twitter.com/PuiyhKMEcr
— Aranchilla (@Aranchuthree) March 26, 2020
Wir gehören zu den privilegierten Menschen mit einem Garten, der sich zum Fußballspielen und Toben eignet. Haben genügend Zimmer, damit sich die Jungs getrennt aufhalten können, bevor sie sich die Köpfe einschlagen. Viele Spanier haben diese Möglichkeit nicht.
Nationaler Notstand: Regeln und Gesetze
Warum gibt es keine Ausnahmen? Denn auch an leeren Strände, auf einsamen Bergen oder über verlassene Felder darf man nicht spazieren. Weder alleine, noch mit Kind. Keiner darf raus! Eine Begründung, die ich dazu gehört habe: Das Gesetz muss möglichst einfach bleiben, ohne zu viele Ausnahmen. Zu viele Sonderstellungen machen es kompliziert und bieten Schlupflöcher, für solche, die danach suchen.
In Spanien gibt es 13 Millionen registrierte Hunde. Am anderen Ende der Leine befindet sich in der Regel ein Mensch, potenziell infektiös. Man appellierte an die Vernunft der Hundebesitzer, ihr Privileg nicht auszunutzen und den Virus, dessen Name nicht genannt werden muss, weiter durch die Gegend zu tragen. Die Mehrheit hält sich sicher daran, wenn auch bei weitem nicht alle. Jedoch setzt man das gleiche Vertrauen nicht in Eltern, damit sie wenigstens einige Minuten pro Tag mit den Kindern auf die Straße, in den Wald oder irgendwo hin können, wo niemand ist.
Gesetze müssen befolgt werden, ob sie einen gefallen oder nicht. Wenn es nach mir ginge, wären alle Steuergesetze überflüssig. Aber erstens fragt mich keiner und zweitens brauchen wir vernünftige Regeln, damit unser Zusammenleben funktioniert. Besonders in Krisen wie der, in der wir uns aktuell befinden. Richtig finde ich sie deswegen trotzdem nicht. Und bei den Notstandsregeln infolge der Coronakrise hat man die Kinder offensichtlich ganz einfach vergessen.
Wo Regeln sind, gibt es Ausnahmen
In Frankreich und Belgien können Kinder trotz Ausgangssperre mit Einschränkungen ins Freie. Man darf dort sogar joggen. In Spanien nicht. Das ist radikal und schwer zu verstehen. Aber am Ende eventuell besser. Das Problem der momentanen Situation ist, dass es nichts Vergleichbares gibt. Ja, gut, die spanische Grippe (welch Ironie!), aber damals herrschte Krieg. Im Grunde lässt sich das nicht vergleichen.
Die nationalen Entscheidungsträger probieren, beraten von Experten, immer in der Hoffnung nach besten Wissen und Gewissen die richtigen Beschlüsse zu fassen, die Grundrechte nicht zu früh und unnötig aber auch nicht zu spät mit tödlichen Folgen einzuschränken. In Italien durfte man bis vor Kurzem noch alleine im Freien Sport treiben. Das wurde nachjustiert und ist nun nicht mehr möglich.
Auch wenn die krasse spanische Quarantäne aus Sicht der Balearen, wo es weniger Fallzahlen und mehr einsame Orte als in Madrid gibt, übertrieben aussieht, hat sie zumindest moralisch den Vorteil, dass wir nicht nach und nach immer mehr Freiheiten aufgeben müssen. Noch schlechter kann es eigentlich gar nicht werden. Die Rechnung dabei ist ziemlich einfach: Je eher wir die Pandemie in den Griff bekommen, umso schneller können unsere Kinder sich wieder frei bewegen.
Im Hinblick auf die Zahlen aus Madrid, die Region die es am schlimmsten in Spanien getriffen hat, sind die Maßnahmen sicher richtig. Die Zustände in der Hauptstadt verschlimmern sich von Tag zu Tag. Die Leichen werden mittlerweile in einer Eisarena gelagert, weil die Krematorien und Bestatter am Ende ihrer Kapazitäten sind. Was auch zeigt, dass es keinesfalls nur eine harmlose Grippe ist, die uns hier aus unseren Gewohnheiten wirft.
Kindliche Psyche und Mikrobiologie
Mit Blick auf das Wohlergehen unserer Kinder während er Quarantäne debattieren Kinderpsychologen, Mikrobiologen und Neurologen. Die einen sagen, das Eingesperrt sein richte irreparablen zerebralen Schaden an. Die anderen, man müsse die Ausbreitung des Virus konsequent einschränken. Neurobiologen beschwichtigen währenddessen, dass vier Wochen zwar lang scheinen, im Hinblick auf die Entwicklung unserer Kinder jedoch keinen Schaden anrichten werden. Dazu müsste die Quarantäne jahrelang anhalten.
#CoronaInfancias Mis hijos de 2 y 3 años, asomados al mundo, al patio interior que no pueden usar: los poderes públicos se olvidaron de los niños, pero ellos son mejores, más fuertes, más duros que la mayoría de los adultos. El futuro es suyo y podrán con todo. pic.twitter.com/GDDkOGVNFV
— Ana Nero (@Verse_moi) March 24, 2020
Alle haben irgendwie recht. Jeder will nur das Beste. Letztendlich auch die Regierung, die für den Hausarrest der Kinder verantwortlich ist. Nur ändert das an der momentanen Situation gar nichts. Wir stoßen alle an unsere Grenzen und es gibt keine allgemeingültige, richtige Lösung.
Berufstätige Eltern im Homeoffice, Schulaufgaben, Lagerkoller. Aber auch die Möglichkeit, als Familie wortwörtlich näher zusammen zu rücken, Zeit, die uns normalerweise fehlt, miteinander verbringen. Spielen und Toben. Habt ihr eine Ahnung, wie oft ich in der letzten Woche Memory gespielt habe? Es ist leicht zu sagen, es kommt auf die Einstellung an, wenn man ländlich auf einer Mittelmeerinsel lebt, aber am Ende erleben wir mit kleinen Unterschieden gerade alle das Gleiche. Und auch ich stoße immer wieder an meine Grenzen. Und danach geht es dann wieder ein Stück weiter, bis wieder ein Tag geschafft ist.
Calma: Immer mit der Ruhe
Das spanische Mantra: Immer mit der Ruhe. Kinder sind Anpassungskünstler. Mehr als wir Erwachsenen. Also müssen wir Eltern uns einreden, dass es keinesfalls so schlimm für sie ist, wie wir es uns vorstellen. In einem Artikel habe ich gelesen, dass besonders Grundschulkinder seit Jahren in unnatürlichen Umständen leben: sie stehen zu früh auf, sitzen zu viel, spielen auf betonierten Schulhöfen, leiden unter verplanten Nachmittagen, Hausaufgabenstress und kommen zu spät ins Bett.
Am Anfang hatte ich den Vorsatz, einfach ganz normal weiterzumachen. Nach zwei Tagen merkte ich, dass das nicht geht. Alles ist anders. Obwohl die Gefahr für uns gering sein dürfte, ist sie real. Es ist absurd so zu tun, als ob alles weiterliefe wie immer. Nur eben zu Hause. Deswegen jetzt immer mit der Ruhe. Wir sehen die Ausgangssperre als Möglichkeit und nicht als Strafe.